Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
03.03.2009: Gottesbeweise!?

«Du sollst dir kein Bildnis von mir machen.»
(2. Mose 20, 4)

Den ganz grossen Fragen kann man gut aus dem Weg gehen, aber das Leben steuert immer wieder Situationen an, in denen sie sich in aller Deutlichkeit stellen: Was macht unser Leben aus? Warum sterben wir, was wird nach dem Tod sein? Wie ist unser Universum beschaffen? Wer oder was hat diese unfassbare Vergeudung von Raum, Zeit und Schönheit zu verantworten? Gibt es ein Wesen, das alles lenkt?

Es ist wenig überraschend, dass auch die Mathematik bei solchen Fragen nicht weiterhelfen kann. Am ehesten kann die Geometrie, eine ihrer vielen Disziplinen, Aussagen zu den möglichen Formen des Universums machen. Vor wenigen Jahren hat die Forschung diesbezüglich grosse Fortschritte erzielt, als der russische Mathematiker Gregori Perelman endlich einen Beweis für die sog. Poincaré-Vermutung gefunden hat, welche die begrifflichen und mathematischen Mittel bereitstellt, um über die möglichen Gestalten des Universums nachzudenken. Ansonsten aber sind die Beiträge der Mathematik zu den erwähnten grossen Fragen der Menschheit eher bescheiden, obwohl tatsächlich einige Versuche unternommen worden sind, Antworten zu finden. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts zum Beispiel brachte der italienische Mathematiker Guido Grandi eine bestimmte mathematische Reihe in Beziehung mit Gottes Erschaffung der Welt. Er untersuchte die alternierende Reihe 1-1+1-1+1-1+1-1+. . . und fragte sich, welchen Summenwert man dieser Reihe wohl zuordnen kann, wenn man sie nach rechts hin unendlich lange fortsetzt. Er entdeckte, dass die Reihe in gewissem Sinne das Nichts repräsentiert, weil man die Zahlen so klammern kann: (1-1)+ (1-1)+(1-1)+(1-1)+. . . = 0+0+0+0+. . . = 0. Überraschenderweise liefert aber eine andere Klammerung einen anderen Summenwert: 1+(-1+1)+(-1+1)+ (-1+1)+. . .= 1+0+0+0+. . . = 1. Grandi schloss daraus, dass Gott einen ganz ähnlichen Trick benutzt haben müsse, um Etwas aus dem Nichts zu kreieren. Die moderne Mathematik hat gezeigt, dass dieses Argument verfehlt ist. Die Grandi-Reihe hat eben keinen Summenwert, weil sie nicht konvergent ist. Gäbe es nämlich einen Summenwert S, dann würden Grandis Überlegungen zeigen, dass (I) S=0 und gleichzeitig (II) S=1 ist. Durch Addition der beiden Gleichungen (I) und (II) liesse sich dann 2S=1, also S=0.5 folgern, und wenn man zur Gleichung (I) das Doppelte von Gleichung (II) addieren würde, würde man 3S=2, also S=2/3 erhalten, und so weiter. Die Annahme, ein Summenwert S würde existieren, würde uns also ein heilloses Durcheinander bescheren.

Ab dem 11. Jahrhundert hat die Logik mehrmals versucht, Gottes Existenz zu beweisen. Diese Versuche gingen von besonders gläubigen Menschen aus, sodass es wahrscheinlich darum ging, Gott (und die Kirche) ein für alle Mal gegen mögliche Kritiker zu verteidigen. Der Erste, der einen ontologischen Gottesbeweis versucht hat, war Anselm von Canterbury (1033–1109), Erzbischof von Canterbury. Er definierte Gott als «das, wozu nichts Grösseres gedacht werden kann», und argumentierte dann so: Auch wer die Existenz Gottes bestreitet, muss Gott mindestens gedacht haben, also existiert Gott mindestens im Bewusstsein. Würde er aber allein im Bewusstsein und nicht in Wirklichkeit existieren, so liesse sich ein noch grösseres Wesen denken, nämlich eines, das überdies die Eigenschaft hat, in Wirklichkeit zu existieren. Da aber Gott per Definition das ist, wozu nichts Grösseres gedacht werden kann, muss Gott folglich auch in Wirklichkeit existieren.

Dieses Argument ist verführerisch raffiniert, aber der «Beweis» krankt ganz wesentlich daran, dass Anselm die reale Existenz Gottes geschickt in der Definition Gottes verpackt, sodass er ihn dann daraus nur noch herauszuzaubern braucht. Auf diese Weise könnte man ebenso «beweisen», dass die Insel, zu der keine schönere gedacht werden kann, in Wirklichkeit existieren muss, weil die Schönheit jeder Insel, die im Bewusstsein existiert, dadurch gesteigert werden könnte, dass sie real existiert. Zudem hat Immanuel Kant später plausibel gemacht, dass die Existenz an sich noch keine Eigenschaft eines Wesens darstellt, sondern dass sie lediglich eine Voraussetzung dafür ist, Eigenschaften haben zu können. Später sind andere Versuche unternommen worden, Gottes Existenz zu beweisen. So hat Thomas von Aquin argumentiert, dass alles, was bewegt ist, von etwas anderem bewegt werden müsse, und dass es darum einen «ersten Beweger» geben müsse, der aus sich selbst heraus bewegt sei. Und eben dies sei Gott. Und noch im 20. Jahrhundert hat der grosse Mathematiker Kurt Gödel versucht, mit Methoden der Logik zu beweisen, dass die Existenz eines göttlichen Wesens notwendig ist, sofern sie möglich ist. Heute finden sich solche Versuche in der Mathematik kaum mehr. Sie widmet sich Problemen, für die sie sich ganz hervorragend eignet, nämlich irdischen.