Schwamm drüber
März 2012: Abschalten

Eine Schulklasse sitzt in den Bänken. Physikstunde. 25 Laptops sind geöffnet. Während die Lehrperson sich an der Tafel abmüht, sind die Körper der Jugendlichen zwar anwesend, die Haken ihrer Aufmerksamkeit aber werfen sie in die ganze Welt aus: via Facebook, Twitter, E-Mails, Google und Blogs, in die Morgenausgabe einer Online-Zeitung, zu Second Life, zu einem Online-Poker. Man hört immer wieder, der Einsatz von Computertechnologie und Internet im Unterricht sei hilfreich und unvermeidlich, aus der modernen Schulstube nicht mehr wegzudenken. Das ist wohl wahr. Gewisse Schulen schreiben sich den Einsatz von ICT (Informatik- und Kommunikationstechnologie) sogar aufs Werbebanner. Ist das sinnvoll? Fördert ICT auch das Lernen?

Einfache Antworten auf diese Frage sind eigentlich immer falsch. Zunächst einmal ist der Einsatz von ICT nicht per se gut. Zu glauben, damit würden Jugendliche besser lernen, ist etwa so, als würde man annehmen, dass man besser kocht, bloss weil man eine neue Pfanne benützt. Lernen geschieht in den Köpfen durch konzentriertes individuelles Erarbeiten von neuem Wissen und neuen Zusammenhängen, und das ist weitgehend unabhängig von den verwendeten Werkzeugen. Anderenfalls hätten ja während 2000 Jahren und mehr die Menschen schlechter gelernt als in den letzten zwanzig Jahren, und dafür gibt es keinerlei Indizien. Eine Schule, die Schüler fördern möchte, sollte nicht ein Tool ins Zentrum rücken, sondern alles daransetzen, gute Lehrer zu finden.

Zweitens: Eine Studie der Universität Stanford weist nach, dass Multitasking zu insgesamt schlechteren Ergebnissen führt. Lernende, die sich parallel zum Unterricht mit diversen ICT-Angeboten beschäftigen, sind abgelenkt, und sie lernen weniger erfolgreich – ein Ergebnis, das kaum überrascht. Lehrpersonen können drittens eine enorm motivierende (freilich auch demotivierende) Wirkung auf Lernende ausüben. In der Disziplin des beständigen Anregens, Mutmachens und Unterstützens sind Menschen um Klassen besser als alle Lernprogramme und Siris zusammen; sie können auch viel besser einschätzen, wo die Lernenden gerade stehen, und den Unterricht somit zielstrebiger nach ihren Bedürfnissen ausrichten.

Viertens: Fertige Bilder und Animationen, wie sie das Internet anbietet, sind dem Lernen häufig nicht förderlich. So zeigt eine Studie von Elsbeth Stern und anderen, dass jemand, der einen vorgefertigten linearen Graphen bloss anschaut, bei Transferaufgaben weniger gut abschneidet, als jemand, der einen solchen Graphen vorher selber konstruiert hat. Fünftens: Warum soll es per se gut sein, Dinge im Unterricht zu pflegen, die viele Jugendliche stundenlang in der Freizeit pflegen? Schule hat vielmehr auch die Aufgabe, den Blick der Jugendlichen auf andere, für sie noch fremde Welten zu öffnen.

Dennoch: Ich halte den gezielten und immer begrenzten Einsatz von ICT im Unterricht für überaus gewinnbringend. Immer dann, wenn sich mit ICT-Einsatz Dinge tun lassen, die ohne diesen Einsatz nicht so schnell, elegant oder wirkungsvoll geleistet werden können, sollte man nicht darauf verzichten: Beim Beschaffen und Analysieren aktueller Daten, beim Programmieren von Algorithmen, beim Recherchieren, beim Verwalten von Texten, beim Diskutieren auf Lernplattformen und so weiter sind Computer und Internet tatsächlich dem Lernen förderlich.

Im Zusammenhang mit ICT empfehle ich also folgendes Vorgehen: Gezielter, zweckgebundener und begrenzter Einsatz. Und sonst: Bitte abschalten!